Wiederholungsprüfung in der Physiotherapie: Verstoß gegen das Mehrprüferprinzip

Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Urteil vom 06.09.2021 einen Prüfungsbescheid über das endgültige Nichtbestehen der staatlichen Abschlussprüfung in der Physiotherapie aufgehoben, weil die Prüfungsbehörde das sogenannte „Mehrprüferprinzip“ nicht beachtet hatte.

Endgültiges Nichtbestehen

Der Kläger hatte den schriftlichen und praktischen Teil der Prüfung bestanden, die mündliche Prüfung nur in den Fächern Physiologie und Spezielle Krankheitslehre, nicht jedoch im Fach Anatomie. Auch die Wiederholungsprüfung war nicht erfolgreich. Damit war die Prüfung endgültig nicht bestanden. Gegen den Prüfungsbescheid erhob der Kläger Widerspruch und anschließend Klage. Diese hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die Prüfung rechtswidrig durchgeführt worden war, weil nur eine Fachprüferin diese Prüfung abgenommen und benotet hatte. Richtigerweise hätten zwei Fachprüfer eingesetzt werden müssen. In der Prüfung selbst war zwar ein zweiter Prüfer anwesend. Dieser hatte sich aber weder an der Prüfung selbst noch an der anschließenden Benotung beteiligt. Dies reichte dem Gericht nicht aus.

Fehlende Bestimmtheit der Prüfungsordnung

Formell lag allerdings kein Verstoß gegen den Wortlaut der Prüfungsordnung vor. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV) bestimmt in § 13 Abs. 2 Satz 1, dass jedes Fach von mindestens einem Fachprüfer abgenommen und benotet wird. Diese Regelung hatte der Prüfungsausschuss eingehalten. Das Verwaltungsgericht hält diese Bestimmung jedoch für verfassungswidrig, weil sie nicht hinreichend bestimmt ist. Die Zahl der Prüfer muss im Vorhinein festgelegt sein. Das Gericht stützt sich auf eine jüngst ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.02.2020 (6 C 8.19). Darin hat das BVerwG in Bezug auf die Staatliche Ergänzungsprüfung für den Beruf "Notfallsanitäter" entschieden, dass

"die konkrete Zahl der Prüfer rechtssatzmäßig festgelegt werden muss. Sie ist wesentlich für das Prüfungsergebnis, weil bei einer Bewertung der Prüfungsleistung durch mehrere Prüfer sich die Bewertung nicht als Ergebnis einer einzelnen, sondern von auf den verschiedenen subjektiven Wertungen und Gewichtungen beruhenden Bewertungsentscheidungen der jeweiligen Prüfer darstellt. Durch die Einschaltung mehrerer Prüfer wird das Ergebnis objektiviert, was zugleich Bevorzugungen und Benachteiligungen einzelner Prüflinge minimiert. Hängt das Resultat der Prüfung aber maßgeblich von der gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ausübung des Beurteilungsspielraums durch den jeweiligen Prüfer ab, ist die Zahl der Prüfer wesentlich für das Prüfungsergebnis und muss für alle Teilnehmer einer berufsbezogenen Abschlussprüfung vorab und vorhersehbar festgelegt sein; ihre Bestimmung darf nicht der Verwaltungspraxis überlassen bleiben."

BVerwG – U.v. 28.10.2020 – 6 C 8.19, Rdnr. 22

Hiervon ausgehend hat das VG Hannover auch für die Abschlussprüfung in der Physiotherapie entschieden, dass bei einer Wiederholungsprüfung, die über das endgültige Bestehen oder Nichtbestehen einer berufsqualifizierenden Ausbildung entscheidet, mindestens zwei Fachprüfer die Prüfung abnehmen und bewerten müssen. Denn auch qualifizierte, unabhängige und sachlich faire Prüfer könnten Bewertungsfehler machen oder eine vertretbare Lösung nicht als solche erkennen. Diesem Defizit könne durch eine Kollegialprüfung vorgebeugt werden. Der Bescheid über das endgültige Nichtbestehen der Prüfung wurde aufgehoben und die Behörde verpflichtet, den Kläger erneut zur Wiederholungsprüfung zuzulassen.

VG Hannover – Urteil vom 06.09.2021 – 6 A 3431/20

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.