Konsequent Spezialisiert
Wir sind eine nahezu ausschließlich im Verwaltungs- und Sozialrecht tätige Anwaltskanzlei. Unsere Kernbereiche sind
Daneben bearbeiten wir auch Fälle aus dem Prüfungsrecht (Schul- und Hochschulprüfungen, sonstige berufliche Prüfungen) und aus dem Gewerberecht.
Unsere Mandanten sind Unternehmen und Privatpersonen, Träger der gesetzlichen Sozialversicherung sowie soziale Einrichtungen. Wir arbeiten bundesweit.
Aktuelles:
Zum Gesamturteil "Hervorragend" in den Beamtenbeurteilungen der Deutschen Telekom AG
Das Gesamturteil „hervorragend“ ist nicht allein höherwertig eingesetzten Beamten vorbehalten.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat in einem Beschluss vom 29.04.2025 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung vieler anderer Verwaltungsgerichte erneut festgestellt, dass das Gesamturteil „Hervorragend“ in den dienstlichen Beamtenbeurteilungen der Deutschen Telekom AG nicht allein den höherwertig eingesetzten Beamtinnen und Beamten vorbehalten ist. Auch diejenigen, die „lediglich“ amtsangemessen oder geringer höherwertig beschäftigt sind, müssen eine Chance haben, die Bestnote zu erreichen, selbst wenn sie mit höherwertig tätigen Kolleginnen und Kollegen auf einer Beurteilungsliste stehen.
Das Gericht führt in der Entscheidung aus, dass die Begründung der Gesamtnote der dienstlichen Beurteilung des Antragstellers nicht den rechtlichen Anforderungen, die insbesondere das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genüge. Es fehle eine nachvollziehbare und sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen haltende Begründung dafür, aus welchen Gründen die Beurteiler den Antragsteller, der gemessen an seinem Statusamt im Beurteilungszeitraum (Technischer Fernmeldebetriebsinspektor, Besoldungsgruppe A9) eine um eine Besoldungsgruppe höherwertige Tätigkeit (bewertet mit der Besoldungsgruppe A 10) ausgeübt hat und sowohl in den Stellungnahmen seiner unmittelbaren Führungskräfte als auch in der dienstlichen Beurteilung selbst bei allen Einzelkriterien durchweg die Spitzennote ,,sehr gut" erhalten hat, dennoch im Gesamturteil nicht mit der Spitzennote ,,Hervorragend" in einer der Ausprägungen bewertet haben.
Die Entscheidung erging im Rahmen einer Konkurrentenklage. Da die dienstliche Beurteilung des klageführenden Beamten rechtswidrig war und dem Beamten auch die Chance, bei einer neuen, rechtmäßigen Beurteilung eine Beförderungsstelle zu erhalten, nicht abgesprochen werden konnte, untersagte das VG der Deutschen Telekom AG im Wege einer einstweiligen Anordnung, die Beförderüngsplanstellen der Besoldungsgruppe A g _vz+Z der betreffenden Beförderungsliste mit anderen Beamten zu besetzten, solange nicht über die Beförderung/Vergabe einer Amtszulage an den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Die Deutsche Telekom AG muss die Beurteilungen nachholen und über die Beförderungen neu entscheiden.
Verwaltungsgericht Düsseldorf – B.v. 29.04.2025 – 10 L 3220/24
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Scheinselbstständigkeit von Dozenten - Aktuelles zur "Herrenberg-Erklärung"
Das sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 zur Scheinselbstständigkeit einer Musiklehrerin hat die gesamte Branche der freien Bildungsträger, in der zahlreiche Honorardozenten im Einsatz sind, „kalt erwischt“ und große Unsicherheit und vor allem Angst vor hohen Beitragsnachforderungen ausgelöst.
Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger hatten im Anschluss an das Urteil sofort angekündigt, die Entscheidung allgemein in allen Bildungsbereichen umzusetzen. Darauf wiederum reagierte der Gesetzgeber und erließ eine befristete „Amnestie“-Regelung. Sie findet sich in § 127 SGB IV und läuft darauf hinaus, dass Dozenten eine Erklärung abgeben können, worin sie sich mit der Fortdauer der Selbständigkeit einverstanden erklären (Herrenberg-Erklärung). Diese „Amnestie“ ist allerdings bis zum 31.12.2026 befristet. Ziel dieser Regelung ist der Schutz vor hohen Nachforderungen. In der Gesetzesbegründung heißt es:
„Aufgrund dieser besonderen Situation und der herausragenden gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Bildungsbereichs ist es ausnahmsweise gerechtfertigt, zum einen für einen begrenzten Zeitraum von einer ansonsten zwingenden Nachforderung von Sozialbeiträgen abzusehen und zum anderen Bildungseinrichtungen und Lehrkräften ausreichend Zeit zu geben, um die notwendigen Umstellungen der Organisations- und Geschäftsmodelle vorzunehmen, damit Lehrtätigkeiten auch unter den veränderten Rahmenbedingungen weiterhin sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbständig ausgeübt werden können.“
BT-Drucksache 20/14744, Seite 29, 3. Absatz
Das Gesetz schreibt für diese Erklärung keine besondere Form vor. Es ist nicht einmal geregelt, gegenüber wem diese Erklärung abzugeben ist (dem Bildungsträger oder dem Rentenversicherungsträger oder gegenüber beiden?). In diesem Kontext ist eine jüngst ergangene Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen Bremen vom 03.09.2025 interessant. Das Gericht akzeptierte, dass die Erklärung sogar noch während eines laufenden Verfahrens gegen einen Beitragsbescheid gegenüber dem Gericht abgegeben wird.
In dem Fall ging es um einen Bildungsträger aus dem medizinischen Bereich, der über einen längeren Zeitraum Honorardozenten beauftragt hatte. Der Rentenversicherungsträger stellte bei einer Betriebsprüfung Sozialversicherungspflicht fest und forderte Beiträge von gut 55.000,00 EUR nach. Der Bildungsträger erhob dagegen Klage vor dem Sozialgericht Hannover. Zu dem Verfahren wurden die betroffenen Dozenten beigeladen. Die Klage hatte in dieser Instanz Erfolg. Der Rentenversicherungsträger legte jedoch gegen das Urteil Berufung ein. Noch vor Ende des erstinstanzlichen Verfahrens erging das oben genannte Herrenberg-Urteil des BSG, dem das Sozialgericht in diesem konkreten Fall aber nicht folgte. Während des Berufungsverfahrens reagierte der Gesetzgeber mit dem Erlass des § 127 SGB IV. Das LSG gab früh zu erkennen, dass aufgrund des BSG-Urteils vom 28.06.2022 wohl Sozialversicherungspflicht festzustellen sein würde und fragte parallel die beigeladenen Dozenten an, ob sie dem Eintritt einer Versicherungspflicht aufgrund ihrer Beschäftigung bei dem Bildungsträger erst ab 01.01.2027 zustimmen. Ein Teil der Dozenten stimmte daraufhin durch Abgabe einer Erklärung gegenüber dem Gericht zu. Daraufhin wies das Gericht die Berufung des Rentenversicherungsträgers in Bezug auf diese Dozenten zurück.
Hiervon abgesehen folgte das LSG der neuen Herrenberg-Rechtsprechung des BSG und stellte fest, dass die Dozenten im streitbefangenen Zeitraum sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren.
Der Rentenversicherungsträger hatte gegen die Abgabe der Einverständniserklärung argumentiert, dass § 127 SGB IV jedenfalls nicht für solche Fälle gelten könne, in denen die Nachforderung bereits durch einen Bescheid im Betriebsprüfungsverfahren geltend gemacht wurde. Dieser Rechtsauffassung hat das LSG eine Absage erteilt.
LSG Niedersachsen-Bremen – U.v. 03.09.2025 – L 2 BA 24/25
und im Vorschrifteninformationssystem Niedersachsen: L 2 BA 24/25
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Zur Treuepflicht von Beamten: Besoldungs- und Bezügemitteilungen müssen sorgfältig geprüft werden
Verfahren über die Rückforderung von Beamtenbezügen nehmen deutlich zu. Aus den unterschiedlichsten Gründen kann es zu (teilweise sehr hohen) Überzahlungen kommen. In Einzelfällen liegen die Beträge im hohen fünfstelligen oder sogar niedrigen sechsstelligen Bereich. Die betroffenen Beamtinnen und Beamten verteidigen sich zumeist mit dem Argument, sie hätten sich auf die Richtigkeit der Berechnungen verlassen und in ihren Bezügeabrechnungen keine Fehler entdeckt.
Bei genauer Untersuchung der Abrechnungen muss man aber häufig feststellen, dass sie an bestimmten Stellen unklar oder in sich widersprüchlich sind, indem Angaben auftauchen, die miteinander nicht vereinbar sind. Beispiel: Bei einer geschiedenen Beamtin wird der Familienstand mit „V“ für verheiratet angegeben, zugleich ist die Steuerklasse I eingetragen, die nur für ledige/geschiedene Personen gilt. Solche Widersprüche müssen auffallen. Anderes Beispiel: Bei Wegzug eines Kindes entfällt oder reduziert sich der Familienzuschlag. In der folgenden Bezügemitteilung ändert sich der Betrag jedoch nicht oder nur geringfügig. Hier muss die Beamtin oder der Beamte misstrauisch werden und die Bezügestelle auf die Ungereimtheiten hinweisen und um Aufklärung bitten. Das gebietet die beamtenrechtliche Treuepflicht. Die Gerichte sind in diesem Punkt zu Recht sehr streng. Urteile der Verwaltungsgerichte in Rückforderungsverfahren enthalten oft folgende Formulierung:
„Von jedem Beamten/Soldaten ist zu erwarten, dass er die Grundprinzipien des Beamtenrechts, sein eigenes statusrechtliches Amt nebst besoldungsrechtlicher Einstufung sowie die ihm zustehenden Besoldungsbestandteile wie Grundgehalt, Familienzuschlag und wohl auch die ihm zustehenden Zulagen kennt. Von juristisch vorgebildeten oder mit Besoldungsfragen befassten Beamten sind weitergehende Kenntnisse zu erwarten. Bei Unklarheiten oder Zweifeln ist der Beamte aufgrund seiner Treuepflicht gehalten, sich durch Rückfragen bei der auszahlenden oder anweisenden Stelle Gewissheit zu verschaffen, ob die Zahlung rechtmäßig ist. Merkblätter und Erläuterungen zu seiner Besoldung muss er sorgfältig lesen.“
zitiert nach: Bundesverwaltungsgericht - Urteil vom 29. April 2004 - 2 A 5.03, fast wortgleich: OVG Niedersachsen - Beschluss vom 19.01.2009 - 5 LA 273/06 und VG Freiburg – Urteil vom 14.02.2024 - 6 K 1666/22
Eine Verletzung dieser Verpflichtung hat erhebliche Folgen: Die Beamtin oder der Beamte kann sich nicht mehr darauf berufen, die Überzahlung gutgläubig verbraucht zu haben. Eine Verletzung der Treuepflicht schließt Gutgläubigkeit aus. In solchen Fällen muss man prüfen, ob der Rückforderungsanspruch nicht teilweise verjährt ist oder die Überzahlung auf einem überwiegenden Mitverschulden der Behörde beruht. Zu den möglichen Abwehrstrategien s. auch: https://www.anwalt.de/rechtstipps/rueckforderung-von-bezuegen-abwehrstrategien-215321.html
Beamtenrecht: Rückforderung überzahlter Versorgungsbezüge - Verletzung von Auskunftspflichten
Wer aus einem Beamtenverhältnis Anspruch auf Versorgungsbezüge hat, muss gegenüber der Versorgungsbehörde umfassende Auskunfts- und Informationspflichten, u.a. über anzurechnendes Einkommen, erfüllen. Diese Pflichten gelten ohne Abschwächung auch für versorgungsberechtigte Angehörige eines Beamten, die selbst nicht Beamte sind oder waren und daher nicht über einschlägige Kenntnisse im Beamten- oder Versorgungsrecht verfügen.
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in einem aktuellen Beschluss vom 13.05.2025 klargestellt. In der Entscheidung geht es um eine Beamtenwitwe, deren Ehemann im April 2012 verstorben war. Die Versorgungsbehörde bewilligte der Witwe aufgrund der kurzen Ehedauer mit zeitlicher Verzögerung einen Unterhaltsbeitrag und bestimmte zugleich, dass die Versorgungsbezüge für den Fall des Bezugs von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen sowie des Bezugs einer Rente nur vorläufig gezahlt würden. Die Nachzahlung belief sich auf 18 418,26 €, ab Juni 2013 wurden die Versorgungsbezüge monatlich gezahlt.
Die Witwe teilte im Dezember 2013 mit, sie sei ins Ausland verzogen sei und würde voraussichtlich ab Februar 2014 über Einkommen verfügen. Zugleich bat sie darum, die Zahlung der Versorgungsbezüge zunächst einzustellen. Trotz dieser Mitteilung setzte die Behörde die Zahlung in der Folgezeit fort und forderte die Witwe verschiedentlich zur Abgabe von Erklärungen und der Einreichung von Unterlagen auf.
Es kam zu einer Überzahlung in Höhe von 40.596,12 €. Im Widerspruchsverfahren hob die Versorgungsbehörde den Rückforderungsbescheid aus Billigkeitsgründen in Höhe von 12.178,84 € auf und reduzierte die Forderung auf 28.417,28 €. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück.
Die dagegen erhobene Klage hatte beim VG Köln in erster Instanz Erfolg, in zweiter Instanz wurde sie vom OVG Münster abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht ließ die Revision nicht zu.
Bemerkenswert an diesem Sachverhalt ist, dass die Behörde die Zahlung fortgesetzt hatte, obwohl die Witwe auf „voraussichtliche“ künftige Einnahmen hingewiesen und um vorläufige Einstellung der Zahlungen gebeten hatte.
Das BVerwG stellt hierzu fest, dass der Versorgungsbehörde ein überwiegendes Verschulden an der Überzahlung dennoch nicht anzulasten sei. Vielmehr habe die Witwe ihrerseits Pflichten verletzt:
Das Gesetz bestimme, dass jeder Versorgungsberechtigte u. a. verpflichtet ist, der Versorgungsbehörde den Bezug und jede Änderung von Einkünften unverzüglich anzuzeigen. Darüber hinaus ist der Versorgungsberechtigte auf Verlangen der Behörde verpflichtet, Nachweise vorzulegen oder der Erteilung erforderlicher Nachweise oder Auskünfte, die für die Versorgungsbezüge erheblich sind, durch Dritte zuzustimmen. Diese Anzeige- und Mitwirkungspflichten treffen jeden Versorgungsberechtigten uneingeschränkt und vorbehaltlos. Das Gesetz differenziere nicht zwischen den Anforderungen, die an einen früheren Beamten zu stellen seien, und solchen, die an die Witwe eines Beamten zu stellen sind. Eine Differenzierung im Sinne von "herabgesetzten" Anforderungen an unterschiedliche Gruppen von Versorgungsberechtigten gebe es nicht. Die Behörde müsse die Berechtigten nicht einmal gesondert über den Inhalt der Pflichten informieren, weil die Anzeige- und Mitwirkungspflichten unmittelbar von Gesetzes wegen bestehen.
Die Behörde sei trotz der Hinweise auf künftige Einkünfte und der Bitte, die monatliche Leistung zu beenden, gar nicht berechtigt gewesen, die Zahlung einzustellen, weil die Witwe nicht den tatsächlichen Bezug von Einkünften angezeigt, sondern lediglich als "voraussichtlich" angekündigt habe. Auskünfte über Art und Höhe der voraussichtlichen Einkünfte als Grundlage für eine Prüfung und Neuberechnung der Versorgungsbezüge hätten gefehlt. Zudem könnten Versorgungsberechtigte auf die gesetzlich zustehende Versorgung weder ganz noch teilweise verzichten.
Fazit: Um Überzahlungen und das Risiko einer hohen Rückforderung zu vermeiden, ist jedem Versorgungsberechtigten deshalb dringend anzuraten, die geforderten Auskünfte unverzüglich und vollständig zu erteilen.
Besonders wichtig: Versorgungsberechtigte, die selbst nicht Beamte sind oder waren, können sich insoweit nicht auf Unkenntnis oder fehlendes Fachwissen berufen. Die gesetzlichen Pflichten sind von jedem Berechtigten uneingeschränkt zu erfüllen.
BVerwG – B.v. - 13.05.2025 - 2 B 2.25
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Beamtenrecht: Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit
Die Suchpflicht des Dienstherrn nach anderweitiger Verwendung entfällt, wenn der Beamte eine rechtmäßig angeordnete ärztliche Untersuchung verweigert
Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 27.06.2024 entschieden: Wenn eine Beamtin/ein Beamter sich weigert, sich einer rechtmäßig angeordneten ärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der Dienstfähigkeit zu unterziehen, darf der Dienstherr aus der Weigerung auf Dienstunfähigkeit schließen, weil es keine belastbaren medizinischen Feststellungen über das verbliebene gesundheitliche Leistungsvermögen gibt. Deshalb ist in einem solchen Fall von einer generellen Dienstunfähigkeit auszugehen. Das bedeutet zugleich, dass der Dienstherrn nicht mehr verpflichtet ist, nach einer anderweitigen Verwendung für die Beamtin/den Beamten zu suchen. Voraussetzung ist allerdings, dass die ärztliche Untersuchung rechtmäßig angeordnet wurde.
BVerwG – U.v. 27.06.2024 - 2 C 17.23
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Fehler in der staatlichen Prüfung für Physiotherapeuten
Die Durchführung der staatlichen Physiotherapeutenprüfung ist gesetzlich geregelt (Ausbildungs- und Prüfungsverordung für Physiotherapeuten - PhysTh-APrV). Prüfungsfehler, die sich auf das Ergebnis auswirken, können zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung und Berechtigung zur Wiederholung der Prüfung insgesamt oder einzelner Prüfungsteile führen.
Das Verwaltungsgericht Würzburg hat in einem Beschluss vom 16.10.2024 eine Reihe solcher Fehler aufgezählt. Bei diesem Beschluss handelt es sich nicht um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern um eine Entscheidung über die Kosten des Gerichtsverfahrens. Die Kandidatin hatte die Prüfung zunächst nicht bestanden und dagegen geklagt. Während des laufenden Gerichtsverfahrens führte sie die ihr gesetzlich zustehende erste Wiederholung der Prüfung durch, die sie bestand. Die Klage gegen das Ergebnis des ersten Prüfungsdurchgangs hatte sich damit erledigt. Das Verwaltungsgericht konnte das Verfahren einstellen und musste nur noch über die Verteilung der Verfahrenskosten entscheiden. Für die Kostenverteilung kommt es darauf an, wie das Verfahren in der Hauptsache ausgegangen wäre, wenn das Gericht durch Urteil hätte entscheiden müssen.
In unserem Fall wurden die Kosten zu zwei Drittel der Prüfungsbehörde auferlegt. Das Gericht erkannte zunächst einen erheblichen Fehler in der Durchführung des schriftlichen Teils der Prüfung in der Fächergruppe 3 gemäß § 12 PhysThAPrV (Prävention und Rehabilitation; Methodische Anwendung der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten). An diesem Prüfungsteil hatte eine Prüferin als Zweitprüferin teilgenommen, die nur als Stellvertreterin benannt war. Es lag aber kein Verhinderungsfall vor, jedenfalls war in den Prüfungsunterlagen nichts dokumentiert.
Den gleichen Fehler stellte das Gericht auch für die Durchführung des praktischen Teils der Prüfung in der Fächergruppe 3 gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 PhysThAPrV (Methodische Anwendung der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten) für die Prüfungsteile Gynäkologie und Chirurgie fest.
Für die mündliche Prüfung des Fachs Physiologie verneinte das Gericht einen Verfahrensfehler. Vorgeschrieben ist die Abnahme der Prüfung durch zwei Prüfer. Die Klägerin hatte gerügt, dass in der Prüfung zwar zwei Prüfer anwesend waren, jedoch nur ein Prüfer tatsächlich geprüft hatte. Der zweite Prüfer habe sich absolut passiv verhalten. Das Gericht stützte sich bei der Bewertung nach Aktenlage auf die Prüfungsprotokolle, aus denen sich nach Auffassung der Richterin kein Anhaltspunkt für ein passives Verhalten ergab. Bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens hätte zu dieser Frage ggf. ein weiterer Beweis erhoben werden müssen.
VG Würzburg – B.v.16.10.2024 – W 2 K 23.1393
Weitere Infos zur Physiotherapeutenprüfung: Abschlussprüfung in der Physiotherapie: Bei der letzten Wiederholungsmöglichkeit ist das Mehrprüferprinzip zu beachten
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Krankengeld: Weiterzahlung nach einstweiliger Anordnung
Im Dezember 2024 konnten wir beim LSG Baden-Württemberg eine einstweilige Verfügung gegen eine gesetzliche Krankenkasse erstreiten. Die Kasse wurde durch Gerichtsbeschluss verpflichtet, einem Versicherten vorläufig weiterhin Krankengeld auszuzahlen. Der Versicherte war u.a. wegen psychischer Beschwerden längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Der MD hatte auf Anfrage der Krankenkasse im April 2024 nach Untersuchung des Versicherten die Arbeitsunfähigkeit bestätigt und zugleich mitgeteilt, dass die weitere Prognose unsicher sei. Im September wandte sich die KK erneut an den MD. Dieser stellt lediglich nach Aktenlage fest, dass in medizinischer Hinsicht nicht weiter von Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei, weil keine wesentlichen Gründe für Arbeitsunfähigkeit dokumentiert seien. Eine persönliche Untersuchung führte der MD diesmal nicht durch. Die KK stellte auf der Grundlage dieser Mitteilung die weitere Zahlung ein. Der Versicherte legte dagegen Widerspruch ein. Parallel beantragten wir beim Sozialgericht Freiburg eine einstweilige Anordnung, die das Gericht jedoch ablehnte. Es war der Auffassung, dass der Versicherte durch Ehegattenunterhalt finanziell abgesichert sie und deshalb keine Entscheidung im Eilverfahren getroffen werden müsste. Die dagegen erhobene Beschwerde hatte Erfolg. Das Landessozialgericht in Stuttgart ging mit der Begutachtungspraxis des MD und dem Verwaltungshandeln der KK hart ins Gericht:
Da die Krankenkasse auch die Vorlage ordnungsgemäßer AU-Bescheinigungen angezweifelt hatte, stellte das LSG zunächst fest, dass die ärztlichen AU-Bescheinigungen nicht formgebunden seien. Es genüge, wenn die Feststellung in einem Akt mit Außenwirkung dokumentiert sei. Der Arzt müsse nicht Vertragsarzt sein und die Verwendung eines Formulars oder amtlichen Vordrucks sei nicht vorgeschrieben.
Die Sozialmedizinische Stellungnahme des MD, die ohne jegliche Untersuchung erfolgt sei, sei – so wörtlich - „vollkommen unbrauchbar.“ Die Krankenkasse hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Der Versicherte trage zwar die Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des nur abschnittsweise bewilligten Krankengeldes und muss auch an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken. Dies entbinde die Krankenkasse aber nicht von der Pflicht, den Sachverhalt aufzuklären. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Mitwirkungspflicht des Versicherten Grenzen hat, insbesondere, wenn eine Erkrankung wie eine schwere Depression im Raum stehe. Vorrangig seien die behandelnden Ärzte zur Übermittlung von Befundunterlagen aufzufordern. Wenn diese ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, könne nicht nach Beweislastregeln zu Lasten des Versicherten entschieden werden. Der Sachverhalt sein in einem solchen Fall durch Einholung eines Gutachtens aufgrund einer Untersuchung des Versicherten weiter aufzuklären.
LSG Baden-Württemberg – B.v. 18.12.2024 – L 5 KR 3444/24 ER-B
siehe aktuell auch: Sozialgericht Lüneburg - B.v. 31.03.2025 - S 41 KR 8/25 ER (noch nicht rechtskräftig)
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Deutsche Rentenversicherung ist wegen verspäteter Leistungsbewilligung schadensersatzpflichtig
Die Deutsche Rentenversicherung Bund muss einer Versicherten Schadensersatz leisten, weil deren Antrag auf Leistungen zur Teilhabe mit übermäßiger Verspätung stattgeben wurde. Die Versicherte verlor zwischenzeitlich ihren Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung und musste sich für eine Übergangszeit privat krankenversichern. Hätte die DRV über den Reha-Antrag schnell genug entschieden, wäre die Versicherte nahtlos in der gesetzlichen Krankenversicherung verblieben. Die Beiträge hätte die DRV tragen müssen.
Das Landgericht Berlin hat die DRV im Amtshaftungsprozess mit Urteil vom 17.02.2021 verpflichtet, der Versicherten Schadensersatz in Höhe der Beiträge zur privaten Krankenversicherung leisten.
Reha-Antrag
Die Versicherte war Physiotherapeutin. Dieser Beruf verlangt eine gute Beweglichkeit der Arme und Hände sowie Kraftentfaltung (z.B. bei Massagen). Aufgrund einer angeborenen Fehlstellung der Elle traten mit der Zeit Beschwerden im Unterarm auf, die die Berufsausübung erschwerten. Bei einem Sturz wurde die Elle zusätzlich geschädigt. Sie bezog daraufhin Leistungen einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Rahmen des dortigen Verfahrens hatte ein Gutachter festgestellt, dass sie den Beruf der Physiotherapeutin nicht mehr würde ausüben können. Andere Ärzte waren zu dem gleichen Ergebnis gekommen.
Stellungnahme des Beratungsarztes
Bei der DRV Bund beantragte sie eine Umschulung (Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben). Die DRV schaltete einen Beratungsarzt ein, der – ohne die Versicherte untersucht zu haben und entgegen allen anders lautenden medizinischen Stellungnahmen - zu dem Ergebnis kam, dass der Unterarm wieder ausheilen würde und sie den Beruf weiter ausüben könnte. Mit den Stellungnahmen seiner Kollegen setzte er sich nicht auseinander. Seine Begründung war inhaltlich dürftig.
Antragsablehnung und Klage vor dem Sozialgericht
Die DRV folgte jedoch seiner Einschätzuung und lehnte den Antrag ab. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Es kam zur Klage. Das Sozialgericht Hildesheim beauftragte einen sachverständigen Orthopäden, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen neutral und unabhängig zu überprüfen. Auch dieser Gutachter bestätigte, dass die Versicherte den alten Beruf nicht mehr würde ausüben können. Daraufhin erkannte die DRV den Anspruch an und bewilligte die Leistung zunächst dem Grunde nach. Daran schloss sich eine Klärung des geeigneten Berufsfeldes an. Auch dabei kam es zu weiteren Verzögerungen.
Verlust der gesetzlichen Krankenversicherung durch Verfahrensdauer
Die Versicherte hatte während des langen Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens zunächst Arbeitslosengeld bezogen. Während dieser Zeit war sie noch gesetzlich krankenversichert. Nachdem das ALG ausgelaufen war, wollte sie sich zunächst über ihren Ehemann familienversichern. Dies scheiterte daran, dass sie Leistungen der Berufsunfähigkeitsversicherung bezog. Dieses Einkommen schließt die Familienversicherung aus. Sie schloss deshalb eine private Krankenversicherung ab. Die Beiträge musste sie selbst zahlen.
Krankenversicherungsschutz während der Reha-Maßnahme
Sobald die Reha-Maßnahme einsetzte, entstand wieder Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, wobei die Beiträge von der DRV zu zahlen waren. Hätte die DRV – wie es ihre Pflicht gewesen wäre – über den Reha-Antrag schnell entschieden und die Maßnahme zeitnah bewilligt, wäre die Versicherte nahtlos in der gesetzlichen Krankenversicherung verblieben. Sie forderte deshalb Schadensersatz von der DRV in Höhe der Beiträge zur privaten Krankenversicherung.
Amtshaftungsprozess vor dem Landgericht Berlin
Dieser Klage gab das Landgericht Berlin mit Urteil vom 17.02.2021 statt (Aktenzeichen: 26 O 214/20). Das Gericht stellt fest, dass die DRV eine Amtspflichtverletzung begangen hat, indem sie den Reha-Antrag erst mit erheblicher Verspätung bewilligte. Insbesondere hätte die DRV sich nicht auf die Stellungnahme ihres Beratungsarztes stützen dürfen. Das Gericht bezeichnet die Stellungnahme des Beratungsarztes als „völlig inhaltsleer.“ Sie sei für die Beurteilung des gesundheitlichen Leistungsvermögens der Versicherten untauglich gewesen.
LG Berlin - U.v. 17.02.2021 - 26 O 214/20
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Krankengeld Weiterbezug während eines Auslandsaufenthalts
Wer gesetzlich krankenversichert ist, muss im Falle eines Auslandsaufenthalts Einschränkungen hinnehmen. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGB V). Diese Bestimmung betrifft grundsätzlich alle Leistungen der Krankenkasse. Hintergrund dieser Einschränkung sind etwaige Schwierigkeiten bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Ausland sowie der Gefahr von Leistungsmissbrauch.
Ausnahme bei Krankengeldbezug
Für den Bezug von Krankengeld gibt es eine Ausnahme: Der Anspruch auf Krankengeld ruht nicht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten (§ 16 Abs. 4 SGB V). Ein Krankengeldbezieher, der sich ins Ausland begeben will, muss daher bei seiner Krankenkasse eine Genehmigung beantragen. solche Genehmigungen werden von Krankenkassen mitunter verweigert, wenn z.B. der Medizinische Dienst Bedenken äußerte, ob die Reise der Genesung förderlich sei.
Hierzu hat das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 04.06.2019 entschieden, dass die Entscheidung über eine Zustimmungserteilung nach § 16 Abs 4 SGB V nicht im Ermessen der Krankenkasse stehe. Die Krankenkasse muss die Zustimmung zum Auslandsaufenthalt eines arbeitsunfähigen Versicherten in einem Mitgliedstaat der EU zur Fortzahlung des Krankengelds erteilen, wenn kein Zweifel an dessen Arbeitsunfähigkeit besteht und kein Leistungsmissbrauch vorliegt. Ob die Reise außerdem auch noch die Genesung fördert, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
BSG – U.v. 04.06.2019 - B 3 KR 23/18 R
