Disziplinarverfahren

Effektive Verteidigungsstrategie

Verteidigung im Disziplinarverfahren ist Detailarbeit. Eine wirkungsvolle Strategie muss in jedem Einzelfall neu entwickelt und auf den konkreten Fall abgestimmt werden. Jedes Disziplinarverfahren besteht aus einer Fülle einzelner Verfahrensschritte, die Ermittlungsführer und Disziplinarbehörden zu beachten haben und in denen die Beamtin/der Beamte eigenständige Verfahrensrechte geltend machen kann. Verfahrensfehler können durchaus dazu führen, eine Disziplinarmassnahme zu Fall zu bringen. Grundsätzlich sind in einem Disziplinarverfahren drei große Schwerpunkte bedeutsam. Jeder dieser Komplexe hat ein eigenständiges Gewicht und ist gesondert zu berücksichtigen:

  • Die Ermittlung des Sachverhalts unter Beachtung aller Verfahrensregeln,

  • Die Bestimmung der konkreten Pflichtverletzung, und der Schwere des Dienstvergehens,

  • Die Bestimmung des Disziplinarmaßes.



I. Sachverhaltsermittlung


Das Verfahren beginnt mit der ordnungsgemäßen Einleitung und dem Hinweis an die Beamtin/den Beamten, sich innerhalb bestimmter Fristen mündlich oder schriftlich zu dem Sachverhalt zu äußern. Die Beamtin/der Beamte hat das Recht, sich durch einen Verteidiger (die neuen Disziplinargesetze sprechen von Bevollmächtigten) vertreten zu lassen. Die ordnungsgemäße Ermittlung des Sachverhalts und die Beweiserhebung sind an feste Regeln gebunden. An Beweiserhebungen darf der Beamte teilnehmen und sachdienliche Fragen stellen. Dem Beamten und seinem Verteidiger ist auf Antrag Akteneinsicht zu gewähren. U.U. ist das Verfahren bis zum Abschluss eines wegen des gleichen Sachverhalts eingeleiteten Strafverfahrens auszusetzen. Zu beachten sind Verjährungsfristen.


II. Bestimmung der konkreten Pflichtverletzung


Grundsätzlich sind von ihrem Gewicht her drei Arten von Pflichtverletzungen zu unterscheiden:

  • Zum einen schwerwiegende Verstöße gegen Eigentumsrechte im Zusammenhang mit der Dienstausübung, z.B. Unterschlagung anvertrauter Gelder o.ä.

  • Besonders ins Gewicht fallen auch Verstöße gegen sog. beamtenrechtliche Kernpflichten, wie z.B. die Gehorsamspflicht, die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf oder die Pflicht zur Verschwiegenheit.

  • Daneben gibt es aber auch Plichtverletzungen, die nur den Randbereich der Berufsausübung betreffen, wie z.B. die Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten oder Verstöße gegen innerdienstliche Verhaltensbestimmungen, die durch behördeninterne Dienstanweisungen geregelt sind.



Von der Bestimmung der konkreten Pflichtverletzung hängt ab, in welchem Ausmaß das Vertrauen des Dienstherren in die Integrität des Beamten beeinträchtigt und das Ansehen des Beamtentums in der Öffentlichkeit beschädigt ist. Im konkreten Einzelfall ist es gar nicht immer einfach, die konkret verletzte Pflicht zu bestimmen. Deshalb ist darauf ein besonderes Augenmerk zu richten.


III. Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens und des Diszipliniarmaßes

Die konkrete Disziplinarmaßnahme ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist u.a. die Schwere des Dienstvergehens, Dauer und Intensität der Pflichtverletzung, die Außenwirkung in der Öffentlichkeit, also die Frage, ob sich das Fehlverhalten des Beamten nur innerdienstlich auswirkt oder auch die Öffentlichkeit von der Pflichtverletzung Kenntnis erhalten hat und ein Ansehensverlust des Beamtentums eingetreten bzw. Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt ist. Auch das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen.

Nach Ermittlung des Sachverhalts lässt sich die in Betracht kommende Disziplinarmassnahme abschätzen. Die Verteidigungsstrategie hat sich an dem realistischerweise zu erwartenden Ergebnis zu orientieren.


IV. Rechtsmittel/Disziplinarklage

Die jeweilige Verfahrensart hängt von der Art der Disziplinarmassnahme ab:

  • Ist ein Verweis, eine Geldbuße, eine Kürzung der Dienstbezüge oder eine Kürzung des Ruhegehalts angezeigt, verhängt der zuständige Dienstvorgesetzte eine Disziplinarverfügung. Dagegen kann die Beamtin/der Beamte Widerspruch und Anfechtungsklage erheben.

  • Soll jedoch eine Zurückstufung, eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts vorgenommen werden, kehren sich die Rollen um. Die Behörde erhebt gegen den Beamten vor dem Verwaltungsgericht Disziplinarklage.

  • Kommt es zu einer vorläufigen Suspendierung und Gehaltskürzung, kann beim Verwaltungsgericht vorläufiger Rechtsschutz in Anspruch genommen und die Aussetzung des Verfahrens beantragt werden.


Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Mitunter wird das Disziplinarmaß zu hoch angesetzt und insbesondere entlastende Umstände nicht in Betracht gezogen.

Entschließt sich die Behörde, eine Disziplinarklage zu erheben, muss sie dem Gericht eine ordnungsgemäße Klageschrift vorlegen. Die Disziplinargesetze des Bundes und der Länder schreiben einheitlich vor, dass die Klageschrift den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen muss. Schon an dieser Hürde scheitern manche Verfahren.

Die Disziplinarklageschrift ist auf Fehler zu überprüfen. Denn der Beamte kann Mängel der Klageschrift rügen. Disziplinarbehörden sitzen bisweilen "auf dem hohen Roß" und lassen bei der Formulierung der Anschuldigungspunkte die gebotene Sorgfalt vermissen. Das Gericht kann deshalb dem Dienstherrn zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels, den der Beamte rechtzeitig geltend gemacht hat oder dessen Berücksichtigung es unabhängig davon für angezeigt hält, eine Frist setzen. Wird der Mangel innerhalb der Frist nicht beseitigt, wird das Disziplinarverfahren durch Beschluss des Gerichts eingestellt.

Eine erfolgreiche Verteidigung gelingt dann, wenn in allen Stadien des Verfahrens die genannten Punkte beachtet werden.

Auch gegen "kleine" Vorwürfe vorgehen

Für Beamte kann es wichtig sein, sich konsequent auch schon gegen scheinbar geringfügige Disziplinarvorwürfe zu verteidigen, wenn es nur um "kleine" Dienstvergehen geht, die für sich genommen nur einen (scheinbar harmlosen) Verweis nach sich ziehen.

Denn manche Behörden erwecken beim unbefangenen Beobachter den Eindruck, dass sie das Instrument des Disziplinarverfahrens gezielt als Mittel des Personalabbaus einsetzen, indem sie solche "kleinen" Verweise gewissermaßen sammeln, um zu gegebener Zeit gegen den betreffenden Beamten in aller Schärfe vorgehen zu können. Angesichts mehrerer kleinerer Dienstvergehen wird dann zu gegebener Zeit der Vorwurf beharrlicher Pflichtverletzung erhoben der zu einem endgültigen Vertrauensverlust führen und die endgültige Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen soll. Bei dieser Ausgangslage droht schnell eine vorläufige Suspendierung und eine Kürzung der Dienstbezüge.

Stellt sich jedoch später heraus, dass diese Verweise zu Unrecht ausgesprochen wurden, kann es schwierig werden, eine rechtskräftige Disziplinarverfügung wieder aus der Welt zu schaffen. Wichtig ist deshalb in jedem Einzelfall die Überprüfung, ob die vermeintliche Pflichtverletzung überhaupt ein Dienstvergehen darstellt und einen Verweis oder gar eine schärfere Sanktion rechtfertigt.


Beispiele aus der Rechtsprechung:

  • Krankschreibung: Bisweilen wird kontrolliert, ob der Beamte in dieser Zeit das Haus verlässt. Dies braucht nicht unbedingt pflichtwidrig zu sein. Ein Beamter, der krank geschrieben ist und in dieser Zeit keinen Dienst leisten muss, braucht nicht zwangsläufig das Haus zu hüten. Auch ein Konzertbesuch in dieser Zeit stellt nicht ohne weiteres eine Dienstpflichtverletzung dar (VG Hannover, B.v.23.11.2006, 18 B 7877/06). Zu einer Pflichtverletzung wird ein außerdienstliches Verhalten erst dann, wenn der Beamte trotz Krankschreibung seinen Genesungsprozess gefährdet. Dann würde er die Pflicht zur Gesunderhaltung verletzen. Dies wäre disziplinarrechtlich selbstverständlich relevant.

  • Das gleiche gilt selbst dann, wenn er während der Krankschreibung eine (erlaubte) Nebentätigkeit ausübt. Auch dies ist nicht per se verboten. Pflichtwidrig wird es erst dann, wenn der Beamte dadurch die Heilung verzögert oder gefährdet. So kann z.B. eine während der Freistellung vom Dienst weiterhin ausgeübte Aufsichtstätigkeit bei einer Schulteroperation den Genesungsprozess nicht beeinträchtigen (VG Lüneburg, Beschluss vom 05.10.2004, 10 A 3/04).

  • Auch Fehler, die dem Beamte im Rahmen der Sachbearbeitung unterlaufen, sind nicht zwangsläufig Dienstvergehen, die das Ansehen in das Beamtentum oder das Vertrauen des Dienstherren beeinträchtigen und eine disziplinarische Ahndung erfordern. Bloße "Unkorrektheiten" stellen noch kein Dienstvergehen dar (VG Osnabrück,Urteil vom 23.11.2009, 9 A 5/09).



Recht auf faires Verfahren - Pflichten des Ermittlungsführers - Materielle Beweisteilhabe

Nicht selten kommt es in disziplinarrechtlichen Ermittlungsverfahren zu Verfahrensfehlern, die sich zu Lasten des betroffenen Beamten auswirken können.

So hat jeder von einem Disziplinarverfahren betroffene Beamte das Recht auf sog. materielle Beweisteilhabe. § 24 Abs 4 Satz 1 BDG (im wesentlichen gleichlautend auch die Disziplinargesetze der Länder) bestimmt, dass dem Beamten Gelegenheit zu geben ist, an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Beschluss vom 18.11.2008 (2 B 63.08) die Pflichten des Ermittlungsführers dahingehend präzisiert, dass dieser bereits in den Ladungen zu den Zeugenvernehmungen den Namen der Zeugen und die Beweisthemen angeben muss. § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG konkretisiere das Recht auf Beweisteilhabe. Der Beamte könne das ihm ausdrücklich eingeräumte Fragerecht aber nur dann sachdienlich wahrnehmen, wenn er sich auf die Vernehmung vorbereiten kann. Dies setze voraus, dass er rechtzeitig erfährt, worum es in der Beweisaufnahme voraussichtlich geht. Hierfür müssten ihm rechtzeitig vor einer Zeugenvernehmung die Namen der Zeugen und die Beweisthemen genannt werden. Dies fordere auch der Anspruch des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren.
Ein Verstoß gegen das Recht auf Beweisteilhabe kann aber im behördlichen Disziplinarverfahren geheilt werden, wenn dem Beamten nachträglich angeboten wird, die Vernehmungsniederschriften zu übersenden. Dadurch erhalte der Beklagte die Gelegenheit, Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen.

BVerwG B.v. 18.11.2008, 2 B 63.08



Prozesskostenhilfe im Disziplinarverfahren

Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat in einem Beschluss vom 17.02.2010 entschieden, dass in Disziplinarverfahren nach dem Thüringer Disziplinargesetz Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, weil das Gesetz auf die Verwaltungsgerichtsordnung verweise, die wiederum die entsprechenden Regeln der Zivilprozessordnung für anwendbar erklärt.
Anders als nach der Rechtslage unter Geltung der Bundesdisziplinarordnung, nach der mangels gesetzlicher Verweisung Prozesskostenhilfe in Disziplinarverfahren nicht bewilligt werden konnte, kann in gerichtlichen Disziplinarverfahren nach dem Thüringer Disziplinargesetz dem beschuldigten Beamten Prozesskostenhilfe gewährt werden. Die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung gegen eine Disziplinarklage sind daran zu messen, ob der Vortrag des Beamten geeignet ist, das mit der Disziplinarklage verfolgte Ziel, die Verhängung einer bestimmten Disziplinarmaßnahme, jedenfalls teilweise abzuwenden.

Beschluss vom 17.02.2010 (1 VO 93/09)


Die Gründe dieser Entscheidung dürften auf alle Disziplinargesetze übertragbar sein, die in ähnlicher Weise auf die Verwaltungsgerichtsordnung verweisen (z.B. § 3 Bundesdisziplinargesetz, § 4 Nds. DiszG, § 3 DiszG NRW).


Selbstanzeige schützt nicht vor Disziplinarverfahren!

Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 15.04.2005 (3 A 12188/04.OVG).
Ein Steueramtsinspektor hatte ein Konto bei der Banque Générale du Luxembourg unterhalten. Im September 1993 hatte er auf dieses Konto einen Betrag von rund 400.000 DM, und im September 1995 einen zweiten Teilbetrages von 490.000 DM überwiesen, die beide angelegt wurden. Bei einer Prüfung von Wertpapierkonten durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes geriet seine Mutter ins Visier der Ermittler. Sie wurde von der Sparkasse über die Ermittlungen informiert. Daraufhin erstattete der Beamte Selbstanzeige und offenbarte, Kapitalvermögen im Ausland angelegt, jedoch in den Einkommensteuererklärungen keine Angaben über Einkünfte daraus gemacht und für die nachfolgenden Veranlagungszeiträume keine Steuererklärungen abgegeben zu haben. Das Finanzamt leitete gegen den Beamten ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts eines Dienstvergehens ein. Das Strafverfahren wurde aufgrund der Selbstanzeige eingestellt, das Disziplinarverfahren anschließend fortgesetzt. Der Dienstherr enthob den Beamten vorläufig des Dienstes und kürzte seine monatlichen Dienstbezüge um die Hälfte. Mit der Disziplinarklage verfolgte der Dienstherr das Ziel, den Beamten aus dem Dienst zu entfernen. Das Verwaltungsgericht Trier entschied allerdings nur auf Degradierung und versetzte den Beamten in das Amt eines Steuerobersekretärs (Besoldungsgruppe A 7). Gegen dieses Urteil legten beide Parteien Berufung ein. Der Beamte machte geltend, dass er weder disziplinar- noch strafrechtlich vorbelastet gewesen sei. Außerdem müsse ihm seine Selbstanzeige zugute gehalten werden. Der Dienstherr meinte, dass allein die Entfernung des Beamten aus dem Dienst die allein schuld- und persönlichkeitsangemessene Disziplinarmaßnahme sei.
Das Oberverwaltungsgericht wies beide Berufungen zurück.

Die Zurückstufung um zwei Besoldungsstufen sei erforderlich, aber auch ausreichend, um der Schwere des Dienstvergehens und dem dadurch bewirkten Vertrauensverlust sowohl des Dienstherrn als auch der Allgemeinheit in den Beamten angemessen Rechnung zu tragen. Ausschlaggebend dafür, den Beamten nicht aus dem Dienst zu entfernen, sei seine strafbefreiende Selbstanzeige gewesen, die maßgeblicher Auslöser für die Einleitung und Durchführung des Disziplinarverfahrens gewesen sei. Diesem Milderungsgrund sei ein so großes Gewicht beizumessen, dass der für die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erforderliche endgültige Vertrauensverlust nicht festzustellen sei.
Eine freiwillige Selbstanzeige schließe allerdings nicht automatisch eine disziplinare Verfolgung aus. Die Selbstanzeige verhindere lediglich die strafrechtliche Ahndung von Steuerhinterziehungen. Die gesetzlich zugesicherte Straffreiheit sei durch steuerpolitische Erwägungen gerechtfertigt. Der Steuerpflichtige soll durch das Angebot der Straffreiheit dazu veranlasst werden, nachträglich seine steuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen, um auf diese Weise das Steueraufkommen des Staates zu vermehren. Die Selbstanzeige kompensiere das strafwürdige Unrecht der Steuerhinterziehung.
Das Disziplinarrecht sei dagegen auf die Erhaltung und Sicherung einer gesetzmäßigen, geordneten und glaubwürdigen Verwaltung ausgerichtet. Die disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen solle den Beamten ermahnen, sich künftig pflichtgemäß zu verhalten und damit die Integrität und Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums im Interesse der Allgemeinheit aufrecht zu erhalten Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2005 (3 A 12188/04.OVG)

Den vollen Wortlaut der Entscheidung können Sie in der Datenbank der Justiz Rheinland-Pfalz unter Angabe des Aktenzeichens abrufen.


Surfen im Internet als Dienstvergehen

Mit zunehmender Bedeutung des Internet häufen sich Disziplinarverfahren wegen Surfens im Internet. Die meisten Computerarbeitsplätze haben Internetzugang. Dies verführt zur privaten Nutzung. Aber auch das häusliche Surfen kann ein Dienstvergehen darstellen, wenn es um strafbare Inhalte geht.

Die Zahl der disziplinargerichtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Internetnutzung durch Beamte nimmt zu. Die Fälle dürfen aber nicht über einen Kamm geschoren werden. Welche konkrete Disziplinarmaßnahme bei derartigen Dienstvergehen angemessen ist, hängt letztlich immer vom Einzelfall ab.

Wenn es um die Nutzung des Internet während der Dienstzeit geht, kommt es zunächst darauf an, ob und in welchem Umfang die private Nutzung untersagt ist. In der Regel ist die private Nutzung ausdrücklich untersagt. Zumeist müssen die Beamten auch eine Erklärung unterzeichnen, dass sie hiervon Kenntnis genommen haben.

In solchen Fällen verstößt die private Nutzung des Dienst-PC zumindest gegen eine dienstliche Weisung und ist schon deshalb pflichtwidrig.

Des Weiteren kommt es darauf an, in welcher Intensität der PC zu privaten Zwecken genutzt wird. Private Tätigkeiten während der Dienstzeit entziehen dem Dienstherrn Arbeitskraft und stellen einen Verstoß gegen die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf dar

Auch die genutzten Inhalte sind zu berücksichtigen.: Es ist ein Unterschied, ob der Beamte während der Dienstzeit z.B. Onlinebanking betreibt oder ob er pornographische Daten oder gar Kinderpornographie herunterläd.

Der Besitz kinderpornographischer Schriften ist strafbar. Internet-Dateien sind Schriften in diesem Sinne. Wer sich solche Schriften oder Dateien verschafft, trägt durch seine Nachfrage nach solchen Darstellungen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern und damit zum Verstoß gegen ihre Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit bei. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Er greift in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Bildung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, weil ein Kind wegen seiner fehlenden oder noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann. Zudem degradiert der Täter die sexuell missbrauchten kindlichen Opfer zum bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung (Bundesverwaltungsgericht - 19.08.2010 - 2 C 5.10)

Auch außerdienstliches Verhalten kann eine Pflichtverletzung darstellen, nämlich dann, wenn das Verhalten des Beamten nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (Bundesverwaltungsgericht - 19.08.2010 - 2 C 5.10).

Bei außerdienstlichen Dienstvergehen ist außerdem zu unterscheiden, ob das Vergehen einen Bezug zum Dienstposten des Beamten hat oder völlig unabhängig davon ist. Das Bundesverwaltungsgericht differenziert in der zitierten Entscheidung wie folgt:

"Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d.h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten, oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen. (.......) Der Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt."

Es macht somit einen Unterschied, ob die Tat von einem Finanzbeamten, der in seiner täglichen Arbeit kaum Publikumskontakt hat oder von einem Lehrer, der jeden Tag mit Kindern umgeht, begangen wird.

Das VG Ansbach (AN 6b 09.01393, Urteil v. 08.01.2010) degradierte einen Steueramtmann wegen des außerdienstlichen Besitzes kinderpornografischer Darstellung (Fotos und Videos) um zwei Stufen (zitiert nach: Verwaltungsgericht Hannover - Beschluss vom 25.10.2010 - 18 B 4525/10).

Bei einem Lehrer können schwerere Sanktionen bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerechtfertigt sein. Das Bundesverwaltungsgericht sagt hierzu:

"Der außerdienstliche Besitz kinderpornografischer Schriften indiziert bei einem Lehrer einen Persönlichkeitsmangel, der Anlass zu Zweifeln an seiner Eignung gibt, der einem Lehrer als Dienstpflicht obliegenden Erziehungsaufgabe gegenüber den ihm anvertrauten Schülern jederzeit gerecht zu werden. Nach Bekanntwerden eines derartigen Fehlverhaltens ist ein Lehrer bei der Aufgabenwahrnehmung zumindest stark beeinträchtigt, weil er elementare Rechte gerade derjenigen Personengruppe verletzt hat, deren Schutz und Erziehung ihm als Dienstpflicht obliegt und anvertraut sind. Insoweit genügt die bloße Eignung, zu einem konkreten Ansehensschaden oder konkreten Übergriffen muss es nicht gekommen sein. (.....) Ein Lehrer ist nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen. Zudem muss der Lehrer in seiner Vorbildfunktion die verfassungsrechtlich geschützte Wertordnung glaubhaft vermitteln. Der Besitz von Schriften, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, ist mit diesem Bildungsauftrag der Schule unvereinbar und lässt dessen Erfüllung durch den Beamten zweifelhaft erscheinen."

Welche konkrete Disziplinarmaßnahme bei derartigen Dienstvergehen angemessen ist, hängt letztlich immer vom Einzelfall ab. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 22.06.2010 - 20 LD 3/08 die Entfernung eines Lehrers aus dem Dienst für gerechtfertigt erklärt, der sich außerhalb des Dienstes auf seinem Privat-PC entsprechende Daten heruntergeladen hatte. Er hatte die Bilder allerdings nicht nur für sich verwendet, sondern auch weiter verbreitet.


Surfen im Internet während der Dienstzeit ohne strafbare Inhalte zu nutzen:

Während die Gerichte im Falle des Herunterladens strafbarer Inhalte, z.B. kinderpornographischen Materials, oftmals die disziplinare Höchststrafe verhängen (z.B: VG Göttingen, 12.05.2009, 5 A 4/07), war bislang die Frage, welche Sanktionen in Betracht kommen, wenn sich der Beamte während der Dienstzeit privat im Internet bewegt, aber nur neutrale bzw. harmlose Seiten besucht, noch nicht entschieden. Das VG Lüneburg hat jetzt aktuell einen Fall entschieden, in dem einem Polizeibeamten vorgeworfen wurde, während der Dienstzeit u.a. privates Onlinebanking betrieben und andere nicht anstössige Seiten besucht zu haben. Die Behörden hielt den Vorwurf gleichwohl für besonders schwerwiegend und enthob den Beamten vorläufig des Dienstes. Dem trat das Verwaltungsgericht entgegen:
In den Entscheidungsgründen heisst es: Die zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird (§ 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG) oder durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 NDiszG). Voraussetzung ist eine Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich die disziplinare Höchstmaßnahme zu erwarten ist. Die Dienstentfernung des Beamten muss nach der gebotenen, ihrer Natur nach nur überschlägig möglichen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung.
Dies sei hier aber nicht der Fall. Die Pflichtverletzungen, die dem Beamten vorgeworfen werden, würden allenfalls eine Maßnahme im unteren bis mittleren Bereich rechtfertigen. Das Gericht hat die vorläufige Dienstenthebung ausgesetzt.
Der Beamte wurde anschließend sofort wieder dienstlich eingesetzt.
Den Beschluss können Sie über unsere Website herunterladen: Verwaltungsgericht Lüneburg - Beschluss vom 06.09.2010 - 10 B 1/10

 

Anforderungen an die Disziplinarklageschrift

Eine Disziplinarklageschrift muss besonderen formellen Anforderungen genügen. Ist dies nicht der Fall, kann das Verwaltungsgericht die Klageschrift an die Disziplinarbehörde zur Überarbeitung und Nachbesserung zurückgeben. So geschehen durch das VG Göttingen in einem Beschluss vom 16.12.2010. Für die Verteidigung stellt sich in jedem Disziplinarverfahren die Aufgabe, die Disziplinarklageschrift auch unter formellen Gesichtspunkten sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls zu beanstanden. Gelingt dies, und gibt das Verwaltungsgericht die Klageschrift zur Nachbesserung an die Behörde zurück, bedeutet dies zunächst einen wertvollen Zeitgewinn. Die Verfahrensdauer verlängert sich, teilweise nicht unerheblich. Dies wiederum kann unter bestimmten Umständen einen günstigen Einfluss auf die Schwere der Disziplinarmaßnahme haben.

Zwar wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28.02.2013 - 2 C 3.12) auf die Dauer des Disziplinarverfahrens zumindest dann keine Rücksicht genommen, wenn nach der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände feststeht, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. In diesem Fall kann das von dem Beamten zerstörte Vertrauen nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte Ahndung der Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden. Der Zweck der Disziplinarbefugnis lässt dies nicht zu (Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung). Anders dagegen, wenn eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme ausreichend ist. In diesem Fall steht fest, dass der Beamte im öffentlichen Dienst verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden

Wie sich dies konkret auswirkt, illustriert ein vom Verwaltungsgericht Göttingen entschiedener Fall. Mit Beschluss vom 16.12.2010 hat sich das Gericht umfassend zu den Pflichten der Disziplinarbehörde geäußert und die Anforderungen konkretisiert, die von der Behörde zu beachten sind (die Entscheidung erging noch zu der inzwischen außer Kraft getretenen Bundesdisziplinarordnung): Die Anschuldigungsschrift hat den Zweck, dem Gericht in klarer, übersichtlicher Form die zur Anschuldigung gestellten Vorwürfe zu unterbreiten und darüber hinaus alle Tatsachen darzulegen, die für die disziplinare Beurteilung der Vorwürfe in formeller und materieller Hinsicht, die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme und die Festsetzung eines Unterhaltsbeitrags von Bedeutung sind. Dabei liegt der Schwerpunkt in der geordneten Wiedergabe der Tatsachen, in denen das Dienstvergehen erblickt wird. Erst sie ermöglicht es, den Umfang der disziplinaren Anschuldigung zu bestimmen und damit ihre für die Entscheidungsbefugnis des Gerichts aber auch für die Verteidigung des Beamten bedeutsame Abgrenzungsfunktion zu erfüllen. Will die Anschuldigung ihren Zweck erfüllen, so muss sie nach Ort, Zeit und Art der Begehung deutlich machen, welches tun oder unterlassen dem Beamten als Dienstvergehen vorgeworfen wird. Wird dem Beamten ein Fehlverhalten vorgeworfen, dessen Beginn und Ende durch einen nach Monaten oder sogar Jahren bemessenen Zeitraum begrenzt ist, so bedarf es insbesondere dann einer Spezifizierung des disziplinaren Vorwurfs nach Ort, Zeit und Art der Begehung, wenn dem Inhalt der Anschuldigungsschrift nicht zu entnehmen ist, ob das Verhalten des Beamten als Handlungsmehrheit, bestehend aus mehreren Selb ständig begangenen Einzelhandlungen, oder als fortgesetzte Handlung, also als eine Zusammenfassung mehrerer, aufgrund eines von vornherein gefassten einheitlichen Tatvorsatzes begangener Teilhandlungen, angeschuldigt werden soll. Wörtlich: „Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, bei fehlender hinreichender Konkretisierung des erhobenen Vorwurfs von sich aus einen Sachverhalt zum äußeren Tathergang und zur inneren Tatseite ausfindig zu machen, der als angeschuldigt gelten soll.“

Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und stellte fest, dass die Anschuldigungsschrift in erheblichem Maße überarbeitungsbedürftig ist. Sie wurde zur Behebung der Mängel an die Einleitungsbehörde zurückgegeben.

VG Göttingen – Beschluss vom 16.12.2010 – 9 A 1/09


Der Fall hatte eine interessante Fortsetzung:

Das Verwaltungsgericht hatte das Disziplinarverfahren durch Beschluss vom 16.12.2010 (9 A 1/09) wegen erheblicher Mängel der Anschuldigungsschrift ausgesetzt. Die Disziplinarbehörde hatte jedoch im Zuge des Disziplinarverfahrens mit Verfügung vom 22.8.2007 die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge in Höhe von 20 % angeordnet. Diese Verfügung wurde allerdings nicht umgesetzt, sodass der Beamte seine Bezüge ungekürzt weiter erhielt. Erst mit Schreiben vom 09.05.2012 meldete sich das Bundesverwaltungsamt bei ihm und kündigte an, die bisher nicht durchgeführte Besoldungskürzung einzubehalten bzw. überzahlte Bezüge zurückzufordern. Insgesamt ging es um knapp 55.000 €. Gegen die Einbehaltung der Dienstbezüge stellte der Beamte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Göttingen, dem das Gericht stattgab. In den Entscheidungsgründen wird u.a. ausgeführt, dass die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge voraussetze, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Diese Disziplinarmaßnahme müsse bei einer summarischen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine mildere Maßnahme. Im vorliegenden Fall sei die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht wahrscheinlicher als die Verhängung einer unterhalb dieser Höchstmaßnahmen liegenden Disziplinarmaßnahme. Die Behörde betreibe das Disziplinarverfahren seit mehr als 13 Jahren. Eine Anschuldigungsschrift sei nach zehnjährigen Ermittlungen im Juni 2009 vorgelegt worden. Darin seien Tatsachen verwertet worden, zu denen sich der Beamte weder in den Vorermittlungen noch in der Untersuchung habe äußern können. Darüber hinaus habe das Gericht in einem Aussetzungsbeschluss vom 16.12.2010 (9 A 1/09) im einzelnen aufgezeigt, dass das Disziplinarverfahren an weiteren erheblichen Verfahrensmängeln leide. Nach Aussetzung des Verfahrens sei offen, ob es überhaupt zu einer erneuten Anschuldigung komme und welche Vorwürfe in diesem Fall noch gegen den Beamten erhoben werden. Auf telefonische Nachfrage im März sei dem Gericht mitgeteilt worden, dass das Verfahren „in Bearbeitung“ sei. Unter diesen Umständen könne keine Rede davon sein, dass die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.

Antragsschrift nach § 63 BDO

VG Göttingen - Beschluss vom 12.12.2012 – 9 B 2/12

 

Disziplinarsachen der Deutschen Telekom AG:  Ein bei der Telekom beschäftigter Beamter ist nicht verpflichtet, Weisung eines HR-Business Partners zu befolgen.